Kolumne
Cool bleiben oder ausrasten?Neulich setzte ich mich im Lichte der warmen Nachmittagssonne auf meinen Balkon. Drinnen im Wohnzimmer lief mein persönlicher Sommerhit „Haus am See“ von Peter Fox. Nein etwas lauter könnte es schon sein. Die Aussicht auf den Feldberg, ungetrübt, und die Skyline der Thylmann-Mühle vor mir eile ich zur Anlage und drehe auf. Etwas zu laut für innen aber gerade richtig um draußen noch etwas mitzuswingen.
Als ich mich endlich mit einer Tasse Kaffee in der Hand niederlasse, wird mir schlagartig klar – hier hörst du keinen Ton. Der Feldberg ruht still und erhaben weit im Taunus. Um diese Zeit tobt der Feierabendverkehr durch die Kilianstädter Uferstraße. Der staut sich manchmal kurz abebbend vor den geschlossenen Schranken der Bahn. Dafür fährt der Zug aus Bad Vilbel mit lautem Gehupe und quietschenden Bremsen in den Kilianstädter Bahnhof ein.
Das Bahnangebot ist ohne Zweifel den Mief verfallener Bahnhöfe und -Anlagen losgeworden, aber was ist Modernisierung? Die Streckenübergänge wurden nicht alle mit Schranken versehen. Übergänge, die nur selten von Traktoren überquert werden, sind nicht beschrankt. Das heißt aber nicht, dass die Lokführer nur noch selten hupen. Der Bahnsteig in Kilianstädten konnte aufgrund starker Krümmung im Nidderbogen wie andere Bahnhöfe auch nicht verlängert werden. In Erwartung einer Masse neuer Bahnkunden, orderten die Anliegergemeinden Doppelstockwagen bei der Bahn und die Mitbürger mit Bewegungseinschränkungen freuen sich über die barrierefreien Wagen. Diese Wagen sind allerdings so schwer, dass sie nur von Dieselloks gezogen werden können, die zwar stark aber auch stark veraltet sind. Da komme ich ins Zweifeln, denn in meiner grünen Brust schlägt ja ein Herz für den Öffentlichen Nahverkehr.
Peter Fox träumt von seinem ruhigen Garten am See, da hat sich der Verkehrsfluss bei mir noch nicht beruhigt. An der Uferstraße hat sich derweil das Who-is-who der deutschen Discounter niedergelassen und deshalb kommt das ganze Oberdorf nach Downtown zum Shopping. Neulich fragte mich jemand, ob man nicht den vierten Discounter zur alten Nidderkaserne ins Industriegebiet Nord hätte auslagern können. Die Antwort auf unsere Anfrage: Wir sind an einer direkten Konkurrenzsituation interessiert und das kommt doch auch dem Verbraucher zu Gute. Ach, deshalb kuscheln ALDI und LIDL so gerne am selben Platz, während in Oberdorfelden der ehemalige PLUS-Markt leer steht. Immer öfter überlege ich allerdings, ob ich nur wegen des Toilettenpapiers noch zur Konkurrenz rüber soll. REWE schickt uns ja mittlerweile auch per Auto zu seinen Getränken über die Straße.
Gegen Abend - der Traum vom Kaffee auf dem Balkon ist längst dem Wunsch nach Ruhe in den vier Wänden gewichen – beruhigt sich die Einkaufskulisse. Dadurch nimmt man ein Geräusch verstärkt wahr, das die ganze Zeit im Trubel untergegangen war. Der Mühlenbetrieb dröhnt mit seinen in der Erntezeit durchlaufenden Zerkleinerungswerken. Da kommen die LKWs der Firma Jung und Schmitt zurück in den Heimathafen und die Traktorengespanne mit Doppelanhänger stehen zum Entladen ihres Getreides an der Pforte. Bis spät in der Nacht krachen Schläge, mit denen man noch das letzte Körnchen von der Ladefläche hämmert. Kann man nicht Getreide anbauen, das im Winter reif ist, wenn niemand auf dem Balkon sitzt?
Müde und voll von akustischen Eindrücken einer prosperierenden Landgemeinde lege ich mich schließlich aufs Ohr. Es ist warm in dieser Sommernacht. Ich stelle mir vor, mit meiner schönen Frau in einem Orangenblütenbad am See zu liegen. Ich habe das Fenster auf und bereue es zugleich. Das Dröhnen der 1-Uhr-Frachtmaschine vom Frankfurter Flughafen hängt minutenlang am Himmel über Schöneck, während die Nachbarin noch mal schnell den bellenden Hund vor die Tür lässt.
Man müsste mal was gegen den ganzen Lärm machen. Gleich morgen werde ich meinen Laubsauger in die Tonne werfen und dann schreibe ich mir die dringlichsten Punkte auf. Wäre ja dumm gelaufen, wenn man in der Kommunalpolitik nichts bewegen könnte. Ich weiß auch nicht, ob Peter Fox seine Idee nicht später bereuen wird, wenn er alle Freunde in sein Haus am See eingeladen hat.
Konrad Höhler-Helbig