Über den Tellerrand hinausdenken: Interview mit den Grünen
Spitzenkandidaten Reiner Bousonville (Platz 1 für den Kreistag) und
Dr. Bärbel Neuer-Markmann (Platz 1 für die Gemeindevertretung)
Zwar finden die Wahlen zum Kreistag und zur Schönecker Gemeindevertretung am 27.
März auf getrennten Stimmzetteln statt. Die Grünen haben jedoch eine eng abgestimmte
Programmatik für Gemeinde und Kreis entworfen. Schließlich machen die politischen
Herausforderungen nicht an den Verwaltungsgrenzen halt. Wolfgang Seifried stellt
Fragen zu übergreifenden Themen, aber auch zu den unterschiedlichen Voraussetzungen
bei den beiden Wahlen.
Frage: Politische Wettbewerber versuchen derzeit die Grünen als Dagegen-Partei zu
verunglimpfen. Reiner, Ihr seid im Main-Kinzig-Kreis seit Jahren in der Opposition.
Opposition gegen alles?
Reiner Bousonville: Gegen alles, was unsinnig ist. Beispielsweise gegen den Ausbau des
Kohlekraftwerks Staudinger in Großkrotzenburg. Wer ernsthaft gegen den Klimawandel
angehen will, kann nicht über die Betriebsdauer von mindestens 40 Jahre einen CO2-Ausstoß
von 9 Millionen Tonnen pro Jahr festschreiben. Dagegen sein allein reicht natürlich nicht, wir
zeigen auch die Alternativen auf wie z.B. Ihr hier in Schöneck mit den sieben Windkraftanlagen.
Bärbel Neuer-Markmann: Den Widerstand gegen diese führten in Schöneck übrigens CDU
und FDP an.
Frage: Aber die sieben Schönecker Windräder können doch Staudinger nicht ersetzen,
oder?
RB: Nein, natürlich nicht. Doch Windkraft ist diejenige unter den regenerativen Technologien,
die bereits heute zu wettbewerbsfähigen Kosten einen signifikanten Beitrag zur Stromerzeugung
leisten kann …
BNM: … immerhin produzieren die Schönecker Anlagen ungefähr soviel Strom wie in
Schöneck insgesamt verbraucht wird.
Frage: Und wenn der Wind nicht weht?
RB: Dazu müssen Speichertechnologien weiterentwickelt werden und regelbare Energieformen
genutzt werden, die das schwankende Stromangebot von Wind und Sonne ergänzen. Dafür
eignen sich am besten dezentrale Gas-Blockheizkraftwerke. Wenn diese Anlagen dann auch
noch mit Biogas betrieben werden, haben wir für den Klimaschutz viel erreicht. Erforderlich ist
aber, dass das Biogas aus nachhaltig produzierten Rohstoffen gewonnen wird. Dazu gehört die
Vermeidung von Monokulturen.
Frage: Das heißt, die Grünen wollen dem Anbau von Energiepflanzen auch Grenzen
setzen. Gibt es noch bessere Alternativen?
BNM: Ja, meiner Meinung nach gibt es intelligentere Lösungen. Z.B. „Biokohle“ in
Kläranlagen unter Zuschlag organischer Abfälle zu produzieren, wie es aktuell in Kaiserslautern
erprobt wird, oder aber die Vergärung nassen Hausmülls, wie es die Stadt Kassel in einem
Pilot durchführt. Ich persönlich bin nur dann für Biogasanlagen, wenn Abfall, der sowieso
entsteht (Fäkalien, Grünschnitt jeder Art, Biomüll) vergast wird. Hier in der Fraktion teilen sich
dabei die Meinungen.
Gespannt schauen wir alle nach Kaiserslautern. Wenn das dortige Pilotprojekt die Erwartungen
erfüllt, so könnten wir künftig mittels der „hydrothermalen Karbonisierung“ an der Schönecker
Kläranlage aus dem Klärschlamm Biokohle produzieren. Diese hat die gleichen Eigenschaften
wie fossile Kohle. Neben Klärschlamm könnten dem Verfahren auch beliebige andere
biologische Reststoffe zugeführt werden. Z.B. könnte der Abfall aus Schönecks Bio-Tonnen
hier genutzt werden. Dazu müsste dann nur noch der Widerstand des Kreises gebrochen
werden …
RB: … denn für die Müllentsorgung hat dieser derzeit das Monopol. Und der Kreis lässt den
Biomüll überwiegend außerhalb des Kreises kompostieren. Wenig sinnvoll, das wollen wir
ändern! Eine nachhaltige Energieversorgung basiert auf regenerativen Energieformen und muss
dezentral organisiert sein. Um die Potentiale zu nutzen, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen
aller politischen Ebenen. Kreis und Gemeinden müssen hier Hand in Hand gehen. Daraus
ergeben sich ganz nebenbei übrigens auch ökonomische Chancen für regionale Unternehmen,
was wiederum vor Ort Arbeitsplätze schafft und den Kommunen Gewerbesteuer einbringt.
Frage: Womit wir zu den Finanzen überleiten können. Kreis und Gemeinde befinden sich
mit ihrer desolaten Finanzsituation in bester Gesellschaft. Tröstet das die Grünen?
RB: Ganz sicher nicht. Wir wollen alle Anstrengungen unternehmen, um den Haushalt nicht
weiter gegen die Wand fahren zu lassen. Es ist eine Frage der Generationengerechtigkeit,
unseren Kindern keine Schuldenberge zu hinterlassen. Der Handlungsspielraum auf der
Ausgabenseite ist im Kreis allerdings beschränkt, da der überwiegende Teil durch gesetzlich
vorgeschriebene Leistungen bestimmt ist. Gewisses Einsparpotential besteht in der Verwaltung.
All unsere Vorschläge wurden jedoch im Rahmen des Haushaltsbeschlusses für 2011 von der
großen Koalition abgelehnt. Auf der Einnahmenseite haben wir leider kaum
Gestaltungsmöglichkeiten, anders als die Gemeinden, die beispielsweise selbst die Hebesätze
für Gewerbe- und Grundsteuer erhöhen können.
BNM: Letzteres werden wir in Schöneck wohl prüfen müssen. Es reicht oft nicht, nur auf
Landes- und Bundesregierung zu schimpfen, ohne die eigenen Handlungsspielräume zu nutzen.
Denn auch Land und Bund stehen finanziell mit dem Rücken an der Wand. Ebenso wenig
reicht es, die Einnahmen - sprich die Belastungen für die Bürger - zu erhöhen. Das ist nicht
vermittelbar. Der Bürger erwartet zu Recht, dass mit öffentlichen Geldern sparsam
gewirtschaftet wird. Dafür stehen wir Grüne, und wir haben in der ablaufenden Wahlperiode
mit wechselndem Erfolg zahlreiche Vorschläge zu Einsparungen gemacht. Angefangen von
Bauhoffahrzeugen über die Kosten für die Einrichtung eines Archivs bis hin zum Verzicht auf
gestalterische Maßnahmen vor dem Rathaus Büdesheim.
Frage: Das hört sich nach viel Klein-Klein an. Wo ist der große Wurf?
RB: In der Tat ist das viel Klein-Klein. Die Probleme sind so groß, dass man nicht seriös den
großen Wurf versprechen kann, der alle löst. Strukturelle Reformen sind jedoch unabdingbar.
Dies beginnt bei punktuellen interkommunalen Zusammenarbeiten und geht bis zur Schaffung
eines Regionalkreises mit neuem geografischen Zuschnitt und einem direkt gewählten
Parlament. Dabei muss eine umfassende Überprüfung und Neuzuordnung der bisherigen
Aufgaben von Kommunen, Landkreisen und des Regierungspräsidiums stattfinden, um künftig
nur noch drei statt vier Verwaltungsebenen zu haben. Am Ende einer solchen Regionalreform
stehen neben mehr Effizienz und weniger Bürokratie auch mehr Bürgernähe und Transparenz.
Frage: Zurück zum Klein-Klein. Wie stehen denn die anderen Parteien zu
Einsparbemühungen?
BNM: Für die beiden Volksparteien ist das äußerst schwierig. Wir haben beispielsweise
gefordert, dass auch Parteien für die Nutzung öffentlicher Räume Gebühren zahlen oder dass
Vereine für die Nutzung der Sporthallen durch ihre erwachsenen Mitglieder (nicht die Kinder
und Jugendlichen!) mehr als eine symbolische Gebühr entrichten. Die beiden großen Parteien
fühlen sich aber stark in der Vereinswelt verwurzelt und scheuen daher eine solch unpopuläre
Maßnahme.
Frage: Wie ist vor diesem Hintergrund die Freie Wählergemeinschaft einzuschätzen, die
nun erstmals in Schöneck an den Start geht?
BNM: Das ist schwer einzuschätzen. Die FWG wirbt damit, ausschließlich die Interessen der
Schönecker Bürger zu vertreten. So friedlich wie die Abspaltung der Gründungsmitglieder von
der CDU vonstatten gegangen ist, erwarte ich mir keine großen Innovationen und eher an der
bisherigen CDU Politik angelehnte Visionen, lasse mich aber gern überraschen. Eine inhaltliche
Distanzierung kann ich bislang jedenfalls nicht erkennen. Im Gegenteil: Gerade in der
Energiepolitik fielen die Protagonisten bislang als Bremser auf, nach deren Einschätzung ein
kommunales Klimakonzept Geldverschwendung ist. Im Kampf gegen die Windkraftanlagen
taten sie sich besonders hervor. Nach meiner Einschätzung handelt es sich bei der FWG-
Ausgründung um einen taktischen Kniff des „bürgerlichen Lagers“, um sich den Trend der
Parteien-Verdrossenheit zu Nutze zu machen und bei der Wahl eine Mehrheit zu erzielen.
Frage: Reiner, wie ist die Ausgangslage im Kreis einzuschätzen?
RB: Im Kreis blicken wir auf insgesamt 18 Jahre große Koalition zurück. Eine unglaubliche
Zeitspanne des politischen Minimalkonsenses, in der sich die Koalitionspartner immer ähnlicher
wurden und kaum mehr voneinander unterschieden werden können. Es fehlt eine klare
Richtung. Wir wollen diese Richtung vorgeben und uns mit einem starken Wahlergebnis für eine
ökologische Erneuerung des Kreises und eine sozial gerechte Politik einsetzen.
Frage: Ganz aktuell steht in Schöneck das Thema Hortplätze auf der Agenda. Kilianstädter
Eltern schlugen Alarm, dass im neuen Schuljahr zu wenig Plätze zur Verfügung stehen könnten.
Wie positionieren sich die Grünen dazu?
BNM: Es muss eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit sein, dass Väter/Mütter/Eltern
arbeiten gehen können und ihre Kinder gut versorgt wissen. Die heutigen Angebote in Horten
und Betreuungsvereinen reichen mittlerweile leider nicht mehr aus. Und obwohl ich der
Meinung bin, dass diese Dienstleistung in Kommunen ausreichend zur Verfügung stehen muss,
sehen wir Grünen sehr wohl, dass wir das Angebot im Hortbereich gerade unter der vom Bund
verordneten Vorgabe, die Plätze im U3 Bereich auszubauen, auf lange Sicht nicht mehr allein
werden stemmen können. Erfreulich ist aus Grüner Sicht, dass hier aber mittlerweile ein
Paradigmenwechsel stattfindet und die Rufe der Eltern nach der Ganztagsschule laut werden.
Durch die Ganztagsschule kann die Betreuung pädagogisch in das Schulprogramm integriert
werden und mit einer Rhythmisierung des Unterrichts über den gesamten Schultag einen
wirklichen Vorteil auch für das Kind bieten. In einer Diskussionsveranstaltung der Kilianstädter
Eltern war hier ein klarer Konsens auszumachen. Die Eltern begrüßten einhellig das Modell von
„Hort-Klassen“, d.h. dass Kinder, die eine Nachmittagsbetreuung benötigen, von Beginn an in
eine gemeinsame Klasse kommen. Das ist ein erster Schritt in Richtung Ganztagsschule! Den
wir auf allen Ebenen unterstützen werden.
RB: Die Initiative zur Ganztagsschule muss aus der jeweiligen Schulgemeinde kommen, der
Kreis als Schulträger kann und soll sie nicht verordnen, aber er kann sie schmackhaft machen.
Und wenn der Wunsch von einer Schule kommt, dann soll der Kreis sie dabei mit allen Mitteln
unterstützen. Dafür machen wir Grünen uns stark.